Eine Kurzgeschichte von Talal Nayer
20.03.2009
Wie gewohnt begann die monotone Melodie. Der Wind, der nach Norden zog, stahl die letzten Feigenblätter, hinter denen sich der Mond verborgen hatte, welcher nun nackt inmitten des Himmels stand. Am Straßenrand funkelten die Sterne schelmisch, während die Wolken sich für eine Reise in die Tiefen des Unbekannten aufmachten.
Der Mond ließ sich von den Blicken der Sterne nicht beirren, denn er war mit etwas anderem beschäftigt. Seine Augen verfolgten die zitternden Hände durch das Fenster von Station Neun, wo ein Patient auf einem alten, rostigen Bett lag. Ein verlassene Flügel des Krankenhauses, wo die Sonne bei ihrem täglichen Rückzug verweilt. Die erdrückende Stille überzog die rissigen Wände. Eine Stille wie der Tod, nur unterbrochen von trockenem, abgehacktem Husten und den fiebrigen Halluzinationen, die wirre Worte auf die Lippen der Kranken schrieben.
Diese verkrampften Hände spielten eine monotone Melodie. Dieselbe, an die sich der Mond jede Nacht gewöhnt hatte. Und als die Nacht tiefer wurde, gab der Mond dem Schlaf nach, ruhend auf der Brust einer vorbeiziehenden Wolke und überließ die Erde ihrem Schicksal.
Über dem kaputten Ventilator saßen drei Krähen. Sie beachteten die herabhängenden, trägen Stromkabel, die von Pocken gezeichnet waren, nicht. Als die Uhr nach Mitternacht tickte, begann der schwitzende Körper plötzlich heftig auf dem Bett zu zucken, das die ganze Nacht vor Schmerz knarrte und ächzte. Dann, um Punkt zwei Uhr morgens, verstummte die monotone Melodie. Schweigen legte sich über den Raum und ließ die Krähen alleine singen.
Das Schweigen währte nicht lange. Bald wurde die Melodie durch einen hektischen, verrückten Rhythmus ersetzt. In diesem Moment erwachten die Geister, die das grüne Bett heimsuchten und begannen in wilder Raserei um den Körper zu tanzen, der mit heftigen Krämpfen eine letzte Symphonie des Untergangs zu spielen schien.
Die hohlen, schwarzen Augen, die aus ihren Höhlen getreten waren, verschlangen den Raum. Die Wände der Adern, zu eng um die Geister in den Körper zu lassen, drückten sich zusammen. Die gequälte Seele, verzweifelt auf der Suche nach Flucht, schrie, aber niemand antwortete. Alle waren zu sehr mit der Szene beschäftigt. Die dünne Krankenschwester hielt eine Spritze in der Hand, suchte nach einem Platz, um sie in den geschundenen Körper zu stechen, während der dicke Arzt hinter seinen dicken Brillengläsern zuschaute, als würde er ein vertrautes Stück sehen.
Die drei Krähen, für einen Moment vor Überraschung erstarrt, begannen wieder in dem grauen Raum zu kreisen, ihre Augen funkelten im schwachen Licht, gespannt darauf, was als Nächstes passieren könnte. Aber das Schauspiel war erneut vorbei. Stille kehrte wieder ein und der Körper auf dem Bett ergab sich seinem Schicksal.
Draußen saß der Mond hinter den toten Bäumen, verärgert über das Ende des Stücks. Die alten Frauen starrten noch immer durch das bröckelnde Fenster und suchten nach etwas jenseits des Horizonts. Der sanfte Wind trug den Männern auf ihren abgenutzten Betten die Nachricht vom Ende zu. Die drei Krähen saßen auf der zerfallenen hölzernen Fensterbank und warteten auf den Beginn der nächsten Vorstellung. Wie immer.